Freitag, 24. September 2010

Anmerkungen zur Studiengebühren-Studie des Stifterverbands

Der Stifterverband hat einen Ländervergleich vorgelegt und kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass Studiengebühren keinerlei abschreckende Wirkung hätten. Die Studie lässt sich unter http://www.laendercheck-wissenschaft.de/studiengebuehren/pdf/laendercheck_studiengebuehren.pdf herunterladen. Ich erlaube mir ein paar einschätzende Anmerkungen zu dieser Studie, auch, da sie in den Medien breit rezipiert wird.

1. Der Stifterverband macht sich nicht die Mühe einer sauberen Angabe der Daten, sondern platziert diese so in einem Kontext, dass nur bei sehr aufmerksamen Lesen klar wird, was gemeint ist. Es wird also suggestiv gearbeitet. So heißt es unter der Überschrift "Die Bedeutung von Studiengebühren", dass der "Finanzierungsbeitrag der Studierenden" auf rund 7 Prozent aller Hochschuleinnahmen gestiegen sei und 1,2 Mrd. Euro betrage. Diese 1,2 Mrd. Euro finden sich beim Statistischen Bundesamt in der Fachserie 11, Reihe 4.5 auf S. 115 unter "Beiträge der Studierenden". Ein Blick in die Abgrenzung (S. 153) zeigt, dass dieser Posten folgende Angaben umfasst: Studiengebühren, Prüfungsgebühren, Rückmeldegebühren. Der Stifterverband schreibt daher ja auch "Finanzierungsbeitrag", suggeriert aber, es handele sich vollständig um Studiengebühren. Ein erheblicher Teil dürfte sich aber aus anderen Quellen speisen, da ja zahlreiche Länder keine Gebühren erheben. Im gleichen Abschnitt schreibt der Stifterverband: "Forschung und Lehre in Deutschland müssen ausreichend finanziert werden. Pro Studierenden und Jahr stellt die öffentliche Hand über 7.200 Euro als Grundmittel für die Hochschulen bereit." Soll wohl heißen: Teuer. Man lese noch mal den ersten Satz: "Forschung und Lehre". Aha, die Forschungsausgaben werden also auch pro Studierendem berechnet?

2. Das Land Hessen wird zu den Nichtgebührenländern gezählt. Das ist natürlich ziemlich gewagt, wenn es um die Beobachtung von Abschreckungswirkungen geht, da die Abschreckung bekanntlich schon bei Debatten über Gebühren greift und diese Debatten und die Einführung der Gebühren den überwiegenden Teil der Beobachtungszeit ausmachen.

3. Der Beobachtungszeitraum ist 2005/06 bis 2008/09. Damit wird als Ausgangsbasis ein Jahr genommen, indem das Thema Studiengebühren schon in aller Munde war. Spätestens (!) seit dem BVerfG-Urteil im Januar 2005 war klar, dass es Studiengebühren geben wird. Wenn diese abschrecken, dann ist dass 2005/06 bereits der Falle gewesen! Die AutorInnen vergleichen daher eine Studiengebührensituation mit einer Studiengebührensituation und nicht die Auswirkungen der Studiengebühren. Zudem liegen längst die Ergebnisse für 2009/10 vor, die der Stifterverband ebenfalls nicht verwendet. Nimmt man die Fachserie 4.1 des Statistischen Bundesamtes so lässt sich feststellen, dass bei den Gebührenländern (in Abgrenzung des Stifterverbands, also ohne Hessen) die Zunahme der Studierendenzahlen bis 2009/10 7% beträgt und in den Nichtgebührenländern 6,3 Prozent ab 2005/06. Nimmt man jetzt als Vergleich das WS 2003/04, dann sieht das aber plötzlich so aus: Gebührenländer +4,1 Prozent, Nichtgebührenländer +6,3 Prozent. Sortiert man Hessen noch um, also zu den Gebührenländern, dann wird das noch deutlicher: Gebührenländer seit 2003/04 +4,0 Prozent, nicht-Gebührenländer +7,1 Prozent bei den Studierenden (siehe Tabelle). Der Stifterverband hat sich die Zahlen demnach so zurechtgesucht, wie es passt - nicht, wie es der Fragestellung entspräche. Analog verfährt der Stifterverband bei der Studienanfängerquote und bei den Wanderungsbewegungen - auch hier wird mit 2005 verglichen, auch hier keine Erwähnung von NCs und Ähnlichem, zudem keine Erwähnung, ob die Berufsakademien in Baden-Württemberg aus der Statistik entfernt wurden, da diese erst am aktuellen Rand den Hochschulen zugerechnet werden durch das Statistische Bundesamt. Ich habe nicht alle Daten für 2003/04 rausgesucht und Hessen neu einsortiert, es ist jedenfalls so, dass das, was der Stifterverband vorgibt zu untersuchen, nicht untersucht wird.
Bei der sozialen Zusammensetzung wird 2006 mit 2009 (BAföG-EmpfänergInnen) verglichen, d.h. auch hier stellt sich die Frage: Was wird eigentlich miteinander verglichen?

Veränderungen ggü. 2005/06 Veränderungen ggü. 2004/05
2003/2004 2005/2006 2008/2009 2009/2010 2008/09 2009/2010 2008/09 2009/2010
Gebührenländer (ohne Hessen) 1.250.557 1.216.626 1.238.049 1.301.675 1,8% 7,0% -1,0% 4,1%
Gebührenfreie Länder (mit Hessen) 769.274 769.480 787.693 817.810 2,4% 6,3% 2,4% 6,3%

Gebührenländer (mit Hessen) 1.428.313 1.379.831 1.409.298 1.486.157 2,1% 7,7% -1,3% 4,0%
Gebührenfreie Länder (o. Hessen) 591.518 606.275 616.444 633.328 1,7% 4,5% 4,2% 7,1%

4. Ebenfalls suggestiv (durch Weglassen) ist die Behauptung, dass die Studiengebühren ja quasi so wichtig seien wir Drittmittel. Der Trick funktioniert so, dass man öffentliche Drittmittel und solche der Stiftungen nicht benennt. Das Statistische Bundesamt schreibt in einer Pressemitteilung vom 24. September 2010: "Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nahmen die deutschen Hochschulen im Jahr 2008 von privaten und öffentlichen Einrichtungen 4,9 Milliarden Euro an Drittmitteln ein."

5. Eine saubere Dokumentation der Methode ist nicht vorhanden. Es wird zwar behauptet, dass die Anzahl der Studienplätze berücksichtig wurde, von unterschiedlichen Numeri Clausi aber kein Wort. Wie bitte weiß man ohne Befragung, ob ein Studium wegen einer besseren Lehrstelle, einem NC oder wegen Studiengebühren nicht aufgenommen wird? In diesem Zusammenhang ist es von Interesse, dass eine entsprechende Studie des Hochschul Informations Systems (HIS) nur als "Meinung" (und nicht als empirisches Ergebnis!) erwähnt wird, was angesichts der Thematik mindestens als unsauber bezeichnet werden muss. Die HIS-Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung macht deutlich, dass bis zu 18.000 Studienberechtigte wegen der Studiengebühren auf ein Studium verzichten. Wegen der Gebühren (Quelle: Heine, Christoph / Quast, Heiko / Spangenberg, Heike (2008): Studiengebühren aus der Sicht von Studienberechtigten Finanzierung und Auswirkungen auf Studienpläne und -strategien, Hannover.)

Insgesamt ist die Frage, ob Studiengebühren Studierende abschrecken, schwer zu beantworten, da eben auch die Anzahl der zulassungebschränkten Fächer und dergleichen mehr eine Rolle spielt. Am sichersten und seriösesten scheinen mir da noch Befragungen zu sein, wie das HIS sie durchgeführt hat. Der Stifterverband jedenfalls hat keine Studie, sondern ein Dokument zur Stimmungsmache veröffentlicht.Alleine der gewählte Vergleichzeitraum macht die Aussagen des Stifterverbands unbrauchbar. Das sollte man öffentlich auch so benennen.

Klemens Himpele
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
- Hauptvorstand -
Referent im Vorstandsbereich Hochschule und Forschung

1 Kommentar:

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